Marco Feingold, ein Kämpfer für Demokratie und Freiheit


„Wenn man einmal gestorben ist, dem tut nichts mehr weh“

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Marco Feingold

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Vier KZs überlebt

Marko Feingold ist der älteste Holocaust-Überlebende Österreichs. Viele Stunden lang könne er erzählen, so der 104-Jährige im Gespräch mit ORF.at, beginnend mit Tanzabenden in der Zwischenkriegszeit, dann der Verfolgung durch die Nazis sowie den spektakulären Fluchthilfeaktionen nach dem Krieg bis zur Gegenwart und der aktuellen politischen Lage.

Als die Wirtschaftskrise Österreich erfasste, war Feingold arbeitslos: „Ich bin in Wien einmal pro Woche stempeln gegangen, dann konnte man sich das Geld holen. Es gab 17 Schilling pro Woche – wer davon leben konnte, den möchte ich sehen!“ Also ging er mit seinem älteren Bruder nach Italien und versuchte sich als Vertreter für Bohnerwachs.

„Damit man fesch ausschaut“

In Italien verdienten die beiden mit jugendlichem Verve, Verkaufstalent und Chuzpe gutes Geld und entflohen so der Armut. Der neu erworbene Wohlstand wurde im Handumdrehen in italienische Mode investiert, „damit man beim Ausgehen fesch ausschaut“. Doch bald kam die schicksalshafte Wende: Im Februar 1938 waren die österreichischen Pässe der Brüder abgelaufen, und sie mussten zurück nach Wien, um diese zu erneuern. Noch war vom bevorstehenden „Anschluss“ Österreichs an Nazi-Deutschland nichts zu ahnen.

So blieben die beiden Brüder länger in Wien als geplant. Es hätte keinen Grund gegeben, sich mit der Rückkehr nach Italien zu sputen, so Feingold: Man hatte etwas Geld verdient, und das Wien der Zwischenkriegszeit bot viele Möglichkeiten, um die Nächte durchzutanzen. So zum Beispiel im Grabencafe, wo es laut Feingold erst ab Mitternacht richtig interessant wurde. Doch die ausgelassene Stimmung dauerte für die beiden Brüder nur wenige Wochen.

Gestapo-Verhöre und Deportation

Im März marschierten die deutschen Truppen ein. Sie wurden von vielen Österreichern mit frenetischem Jubel willkommen geheißen, erinnert sich Feingold: „Die Sympathien für den Anschluss waren in Österreich im Frühjahr 1938 sehr groß.“ Für die jüdische Bevölkerung folgte die brutale Verfolgung durch die Gestapo. Marko und sein Bruder Ernst wurden verhaftet und gefoltert. Die Gestapo hatte es weniger auf die beiden jungen Männer abgesehen als auf ihren Vater, der sich bereits während des Ständestaat-Regimes gegen illegale Nazis engagiert hatte.

Der Vater konnte gewarnt werden, die beiden Brüder wurden freigelassen und setzten sich nach Prag ab. Bald darauf wurden sie als Staatenlose nach Polen abgeschoben, kehrten jedoch mit falschen Papieren nach Prag zurück und führten Sabotageakte gegen die Nazi-Besatzer durch. Nach kurzer Zeit wurden sie aufgedeckt, inhaftiert und erneut gefoltert. Dieses Mal gab es kein Entkommen mehr: Über Krakau erfolgte schließlich im Frühjahr 1940 die Deportation ins KZ Auschwitz.

Zu diesem Zeitpunkt existierte die berüchtigte Rampe von Auschwitz noch nicht, und die Bahngleise führten nicht bis ins Konzentrationslager. Das KZ Auschwitz lag wenige Kilometer von der Zugsstrecke Prag – Krakau entfernt. So hielt der Zug einfach auf freiem Feld. Marko Feingold und sein Bruder sowie 450 weitere Häftlinge wurden aus den Güterwaggons getrieben und mussten die Strecke zu Fuß zurücklegen. Dieser Ort, so Feingold, sah wie ein Schlachtfeld aus, Boden und Felder waren blutgetränkt.

Konzentrationslager und Befreiung

Aufgrund der Sabotageakte, die Marko und Ernst Feingold in Prag durchgeführt hatten, kamen beide in eine Strafkompanie. Marko Feingold magerte innerhalb von zweieinhalb Monaten von 55 auf nur 30 Kilogramm Körpergewicht ab. Als er erfuhr, dass sein Bruder für einen Transport in das KZ Neuengamme bei Hamburg vorgesehen war, setzte er alles daran, um nicht von ihm getrennt zu werden. Der Plan glückte. Doch in Neuengamme wurden die Brüder erneut getrennt. Erst nach dem Krieg erfuhr Marko Feingold, dass sein Bruder im Jahr 1942 in der Nähe von Neuengamme in der Gaskammer ermordet worden war.

Marko Feingold überlebte insgesamt vier Konzentrationslager: Nach Auschwitz und Neuengamme kam er nach Dachau und schließlich nach Buchenwald, wo er am 11. April 1945 die Befreiung erlebte. Feingold betont mit Vehemenz, dass das Lager von amerikanischen Truppen befreit wurde und nicht von den Häftlingen selbst. Unter Zeitzeugen und Historikerinnen führte die Frage der Befreiung von Buchenwald immer wieder zu Kontroversen. Kommunistische Gefangene wie beispielsweise der Schriftsteller Jorge Semprun vertraten lange Zeit die Auffassung, dass eine Häftlingsrevolte den KZ-Terror beendet habe.

Feingold strandete nach der Befreiung wie viele andere Displaced Persons (DP) in Salzburg, wo er ursprünglich gar nicht hinwollte. Jüdische KZ-Überlebende aus Wien sahen sich mit der abstrusen Situation konfrontiert, nicht nach Hause zurückkehren zu können, da sie an der Grenze der amerikanisch-russischen Besatzungszone an der Enns „auf Order von Wien“ nicht durchgelassen wurden. Feingold betonte, dass diese antisemitische Politik unter anderem Karl Renner anzulasten sei, der damals der provisorischen Regierung als Staatskanzler vorsaß.

Fluchthilfe und Bildungsarbeit

Selbst der sozialdemokratischen Führung war nach dem Krieg nichts daran gelegen, so Feingold, jüdische Überlebende willkommen zu heißen, geschweige denn Reparationszahlungen zu leisten oder die „Arisierungen“ ihres Vermögens rückgängig zu machen: „Nach dem Krieg hat er den ehemaligen Nationalsozialisten, die Zigtausende Wohnungen von Juden geraubt hatten, zu verstehen gegeben: ‚Ihr könnt ruhig schlafen, ihr werdet die Wohnungen nicht verlieren.‘ Das war damals der Anfang der rechten Kontinuität, würde ich sagen.“

Ein großer Teil der Überlebenden entschloss sich deshalb, nicht zurückzukehren, sondern auszuwandern. Viele zog es nach Palästina – doch auch dorthin war der Weg versperrt: Der Staat Israel existierte noch nicht, und die britischen Behörden wollten verhindern, dass jüdische Holocaust-Überlebende in das damals noch britische Mandatsgebiet Palästina kamen.

So schmiedete Feingold gemeinsam mit der jüdischen Hilfsorganisation Brichah (hebräisch für Flucht) wagemutige Pläne: Über einen nur zehn Kilometer breiten Korridor in den Krimmler Tauern, den nicht die britischen, sondern die amerikanischen Besatzungstruppen kontrollierten, wurden Tausende Menschen nach Italien geschleust. Von dort organisierte Brichah Schiffe, die die Flüchtlinge nach Haifa brachte. Aufgrund seines außergewöhnlichen Organisationstalents und der Italienischkenntnisse, die er sich vor dem Krieg angeeignet hatte, war Marko Feingold maßgeblich an dieser wichtigen Fluchthilfeaktion beteiligt.

Aufklärungsarbeit im Dienste der Demokratie

Feingold ließ sich aber in Salzburg nieder, gründete ein Modegeschäft und wurde im Jahr 1977 Vizepräsident und bald darauf Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde der Stadt. Auch im hohen Alter von 104 Jahren hält Feingold Vorträge als Zeitzeuge, etwa vor rund 300 Besuchern der GEA-Akademie in Schrems (Niederösterreich) vor Kurzem. Am Rande dieses Vortrags fand Anfang September auch das Interview mit ORF.at statt.

Feingold ruft bei seinen Vorträgen die Zuhörerinnen und Zuhörer stets auf, dass es aller Aufgabe sei, Demokratie mit Leben zu füllen und gegen Rassismus und Ausgrenzung aufzustehen. Im Gespräch mit ORF.at warnt Feingold angesichts der aktuellen politischen Lage in Österreich: „Wir müssen sehr darauf achten, dass nicht wieder ein ‚starker Mann‘ nach oben kommt, der die Vielfalt und die Demokratie in unserem Land aufs Spiel setzt. Außerdem hoffe ich, dass nicht nach parteipolitischen Interessen gehandelt wird, sondern im Sinne aller Menschen in diesem Land. Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, dafür Sorge zu tragen, dass nicht wieder Menschen ausgegrenzt und an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden.“

Dabei ist Feingold vor allem ein Mutmacher: Sein Humor, seine Leichtigkeit als Vortragender und seine unermüdliche Lebensenergie entfachen bei jung und alt die Lust, tagtäglich mit Zivilcourage durchs Leben zu gehen.

Quelle: http://orf.at/stories/2406817/2406820/

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Buch:  Marko M.Feingold  Otto Müller Verlag  Eine Überlebensgeschichte

Marko M.Feingold, Präsident der Israelitischen Kulturgemeinde Salzburg, gibt mit seinem Engagement ein  Zeichen zur Verbreitung der jüdischen Geschichte gegen das Vergessen. Seine Lebenserinnerungen sind Zeugnis eines von Nationalsozialismus und Holocaust bestimmten Lebens. Sie sind jedoch niemals sentimental oder anklagend, sondern trotz des Erlittenen liegt darin viel Humor und Unbeschwertheit,


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